• «Bewegungskultur beinhaltet auch Erlebnis durch Bewegung»

Bewegungskultur versus Bewegungskult

Bewegungskultur verkörpert unsere Antithese zum heutigen Bewegungskult. Als Bewegungskultur definieren wir die Qualität des Mensch Seins – eine tiefe Überzeugung, dass Bewegung uns kultivieren kann im Sinne einer wertvollen Persönlichkeitsentwicklung. Die menschliche Bewegungslust folgt grundsätzlich keinem Trend, sondern steht für ein inneres Bedürfnis – mit Spielen, Laufen, Balancieren, Klettern, Tanzen u.a. sein Wesen auszudrücken.

Im Gegensatz zu vielen anderen Kulturen – wie im asiatischen Raum oder bei Naturvölkern – kennen wir kaum ein von Kindesbeinen an kultiviertes Bewegungsverhalten. Entweder treiben wir Sport oder es gilt eher Sport ist Mord! Mit Sport treiben ist oft ein Vergleichen verbunden und dadurch auch ein für viele mit Frustration verbundenes Bewegen. Solange Sport im Einklang mit dem ursprünglichen Bewegungsdrang lustvoll und freiwillig getrieben wird, entspricht dies einem kultivierten Bewegungsverhalten. Oft aber verschiebt es sich in ein zielfokussiertes und somit rein willentlich gesteuertes Handeln. Aus ich möchte wird ein ich sollte und endet im ich muss!

Wir beabsichtigen mit unserem Angebot primär das persönliche Bewegungspotenzial zu entdecken und damit Freude am eigenen Körper zu vermitteln. Das Leben ist schon hart genug und wir möchten mit stressfreiem Bewegen doch vor allem leichtfüssig und authentisch durchs Leben gehen!

Bewegungskultur bezeichnet folglich einen respektvollen und dankbaren Umgang mit seinem Körper und spricht diejenigen Menschen an, welche sich gemäss Johann Heinrich Pestalozzi als Einheit von Kopf – Herz – Hand verstehen und auch als ganzer Mensch handeln möchten. Voraussetzung dafür ist Vertrauen in die eigenen Sinne, welche verbunden mit Aufmerksamkeit eine wertfreie Beobachtung seiner selbst und seiner Mitmenschen ermöglicht.

Moshé Feldenkrais (1904 – 1984) war Physiker und Judolehrer und an Neurophysiologie interessiert. Er entwickelte eine körperorientierte Lernmethode, durch die persönliche Handlungsmuster erkannt und erweitert werden können. Der Mensch definiert sich nach Feldenkrais über die vier Bereiche Bewegung, Gefühl, Denken und Sensorik. Vor allem die Ausbildung einer reichen Sinneswahrnehmung beinhaltet ein unerschöpfliches Potenzial für eine nachhaltige Verhaltensänderung. Die folgenden Statements sind wunderbare Metaphern für seine Denkweise: “Nur wenn du weisst, was du tust, kannst du tun, was du möchtest!”  oder “The whole man must move at once!” Der Mensch kann leichter und effektiver handeln, wenn er keine inneren Widerstände überwinden muss. Entscheidungen werden mit klarem Motiv gefällt und die entsprechende Handlung ohne Zögern ausgeführt.

Die offensichtlich überbewertete kognitive Fähigkeit und damit verbunden die rationale Dominanz im Alltag hat sicher viel mit unserer technologischen Entwicklung zu tun. Diese einseitige Ausprägung verkennt unsere genetischen Erbanlagen. Der Biologe und Schrifsteller Juval Noah Harari hat in „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ beschrieben, dass vor 25 000 Jahren unsere Hirnmasse grösser war als heute! Vielleicht hat dieses Phänomen mit der Spezialisierung und damit einseitigen Nutzung unserer Fähigkeiten zu tun? Ich bin der Ansicht, dass die Vernachlässigung unseres sensorischen und bewegungskulturellen Potenzials oft mit Angst vor den eigenen Gefühlen gekoppelt ist. Gerade weil das limbische Hirn als Heimatort der Gefühle eine der ältesten Strukturen des menschlichen Gehirns bildet, sollten wir seine Existenz in Ehren halten! Jede Handlung beinhaltet einen Gefühlsaspekt! Mensch Sein ist definitiv mehr als das Produkt rationaler Logik. In dem Sinne freue ich mich, in den nächsten Artikeln zentrale Aspekte der Sensorik und die Kernbotschaft unserer Bewegungskultur zum Ausdruck zu bringen. Ergänzt durch kleine Praxisaufgaben – ich nenne diese “Bewegungsapéro”.

Mit folgendem – oft verkannten – Zitat als Ausblick auf den nächsten Blog freue ich mich auf ein Wiederlesen! Nur durch unbedingte Aufmersamkeit im Jetzt wird einem die Botschaft von Konfuzius in seiner ganzen Dimension bewusst. Und kultivierte Bewegung beinhaltet diese Qualität.

“Der Weg ist das Ziel.” (Konfuzius, chinesischer Philosoph, 551-479 v. Chr.)

Roland Bärtsch