Bewegtes Gehen als Antwort auf schwierige Zeiten
Was bedeutet Bewegung im Umgang mit sich selbst in schwierigen Zeiten? In welcher Form kann Bewegung helfen, sich unter erschwerten Bedingungen weiter zu entwickeln und angstfrei mit positiver Grundeinstellung durchs Leben zu gehen?
Ja – genau damit beginnen wir: Mit Gehen!
Wenn eine innere Unruhe aufkommt, sich Ängste ausbreiten im Körper; dann ist unser Körper auf Aktivität als Ausdruck einer „Verteidigungsstrategie“ eingestellt. Unser limbisches Hirn – Ort der Emotionen – übernimmt die Führung. Dieses ist in Stresssituationen sehr aktiv und führt zu erhöhter Ausschüttung der Stresshormone. Ein über lange Zeit erhöhter Cortisolwert führt zur Erschöpfung anderer wichtiger chemischer Botenstoffe wie den anregenden Dopamin und Noradrenalin und dem eher dämpfenden Serotonin. Sie sind die treibende Kraft im Organismus für Bewegungen, Koordination, Konzentration, Motivation und geistige Leistungsfähigkeit.
Hinzufügen möchte ich die Aufgabe des vegetativen Nervensystems: Der Parasympatikus und der Sympatikus wirken als Pole der körperlichen Leistungsbereitschaft. Je mehr Aktivität verlangt wird, desto dominanter wird der Sympatikus. Bei Müdigkeit sowie zunehmender Erschöpfung der körperlichen Ressourcen übernimmt der Parasympatikus die Führung. Problematisch wird es dann, wenn unsere Ängste oder die Anforderungen uns nicht zur Ruhe kommen lassen. Das führt oft zu Schlafproblemen und schliesslich zu einem Burnout oder einer Depression.
Aber wenn wir diese innere Unruhe nicht zu unterdrücken versuchen, sondern diese gestaute Form von Energie in eine Bewegung transformieren, so „lösen sich Probleme“ wie von Geisterhand auf. Durch eine Verbindung der linken und rechten Hirnhälfte entstehen Lösungsansätze oder ein anderer Umgang mit dem Stressthema wird möglich. Die diagonal organisierte rhythmische Gangbewegung tut nämlich genau dieses! Und dass Nietsche mit seinem bereits einmal erwähnten Zitat: „Die Weisheit liegt in den Schritten des Wanderers!“ den Nagel wirklich auf den Kopf trifft, soll jeden Läufer, welcher ausschliesslich mit der Stoppuhr durch die Gegend rennt, zu einem ruhigeren Rhythmus animieren.
Rhythmisches Gehen ist eine Urform des menschlichen Seins!
Sie löst geistige und emotionelle Blockaden, reduziert die Ausschüttung sympatikotoner Hormone und gibt dem Parasympatikus die Möglichkeit, seine regenerative Wirkung zu entfalten. Tiefer Schlaf, die Fähigkeit in jeder Pause seine Batterien aufzufüllen sind die positiven Folgen eines vegetativen Gleichgewichts. Der Abbau von überschüssigen Säuren – bedingt durch zu viel Stress – führt aufgrund der erhöhten Sauerstoffaufnahme beim Wandern in Blut und Zellen zu einem ausgeglichenen Säure-Basen Haushalt.
Wandern Sie 3-4 Mal/Woche 1 Stunde zügig durch ihr Lieblingsgelände.
Mit wachen Sinnen sehen, hören, riechen, schmecken und spüren Sie ihre Umgebung. Und atmen Sie tief durch; belüften Sie jeden Winkel ihrer Lunge, welche ein anatomisches Kunstwerk ist. Nicht mit forcierter Atmung, sondern mit Forschermentalität: Atme ich spontan eher in den Brustkorb oder in den Beckenraum; mehr nach vorne oder nach hinten? Kann ich ohne Anstrengung die Ausdehnung der Atmung steuern, mal nach vorne oben oder nach hinten unten? Damit es wirklich ein Spiel mit der Atmung bleibt, immer nur 2-3 Minuten experimentieren, dann „es wieder Sein lassen“. Um 10 Minuten später herauszufinden, ob die Ein- und Ausatmung gleich lang dauert? Und ob es eine kurze Pause zwischen Ein- und Ausatmung gibt?! Kann ich die Ausatmung um 1 Schritt verlängern, ohne in eine Stressatmung zu gelangen – oder ev. gar um 2 oder 3 Schritte? Immer wieder Pausen machen mit wachem Genuss für das rhythmische Gehen, die schöne Umgebung oder einfach dem Sein.
Und vielleicht haben Sie bei warmen Temperaturen abschliessend gar Lust, die (hoffentlich weichen und angenehmen) Schuhe auszuziehen, um noch 5-10 Minuten eine Gehmeditation zu machen (ich liebe es!): Wunderbar eignet sich ein schöner Rasen, kann aber auch zu Hause im Wohnzimmer durchgeführt werden.
Gehmeditation als Krönung des Antistressprogrammes
Eine Gehmeditation kann besser mit der notwendigen Ruhe und Qualität durchgeführt werden, wenn wir den Stress durch unseren rhythmischen Spaziergang „weggeatmet und durchschritten haben“. Qualität bedeutet für mich eine „tiefe Auseinandersetzung“ mit dem Boden und vollständiges Einbringen seines Selbst.
In der Ausgangsposition befindet sich der linke Fuss eine halbe bis dreiviertel Fusslänge vor dem rechten in Parallelstellung. Damit wird es möglich, das Körpergewicht mittig auf beide Füsse gleichzeitig zu verteilen. Bei zu grosser Distanz können nicht mehr beide Füsse vollständigen Bodenkonktakt behalten. Beide Hände werden auf der Höhe des Sonnengeflechts zusammengebracht. Der linke Daumen wird von den restlichen 4 Fingern umschlossen. Die rechte Hand umschliesst dann die linke. Die Unterarme werden leicht seitlich abgespreizt. Diese Geste symbolisiert eine Verbindung von links und rechts. Gleichzeitig hilft es uns, die Mittelachse besser wahrzunehmen und vermittelt uns dadurch mehr Stabilität.
Ich führe Sie gerne über die folgende Audiodatei durch die Gehmediation, welche für mich persönlich eine Bewusstseinserweiterung in Verbindung zu mir selbst, gleichzeitig aber auch die Verbindung zur Umwelt mit all meinen Sinnen erfassbar macht.
Roland Bärtsch